Sammelklagen schädigen das „Erfolgsmodell Schweiz“
Anfang 2020 hatte der Bundesrat die Instrumente zum sogenannten kollektiven Rechtsschutz aus der geplanten Revision der Zivilprozessordnung herausgelöst. Es ging dabei um die vielfach geforderten Sammelklagen, die für Verbraucher zweifellos wirkliche Vorteile hätten. Doch auch Nachteile, denn das Schweizer Rechtssystem wird nicht umsonst als Erfolgsmodell bezeichnet. Nun soll bis Ende 2021 ein separater Gesetzesentwurf zu den Sammelklagen vorgestellt werden.
Anfang Dezember 2020 hatte die Eidgenössische Kommission für Konsumentenfragen zu einer Diskussion rund um das Thema Sammelklagen eingeladen. Es ging um deren Bedeutung und um die Sinnhaftigkeit bzw. ob eine solche überhaupt vorhanden sei. Ausserdem sollte in dem Zuge geklärt werden, ob eine schweizweite Regelung dazu geschaffen werden sollte. Die Wirtschaft sieht dieser Sache wenig positiv entgegen und hat entsprechende Vorschläge in der Vergangenheit regelmässig bekämpft. Sie zeigte sich erfreut darüber, dass der kollektive Rechtsschutz aus der Revision der Zivilprozessordnung herausgenommen worden war.
Nun allerdings steht fest, dass der Bundesrat bis zum Ende diesen Jahres eine separate Vorlage erstellen soll, in der es um das Thema Sammelklagen geht. Die Wirtschaft lehnt die Einführung solcher Instrumente aber immer noch ab und wird sich aller Voraussicht nach vehement dagegen wehren.
Wohlstand nur ohne Sammelklagen?
Kritiker der Sammelklagen sind der Meinung dass es die Schweiz nur zum Erfolgsmodell gebracht hätte, weil es eben keinen kollektiven Rechtsschutz gäbe. Der Wohlstand des Landes sei einer funktionierenden Wirtschaft zu verdanken, ohne die es keine Arbeitsplätze, keine Infrastruktur und keinen sozialen Auffang gäbe. Somit wird gefordert, nichts an dem bisherigen Erfolgsmodell zu verändern, um genau dieses erhalten zu können. Eine ausgewogene Gesetzgebung, die sich auch auf das Prozessrecht bezieht, gehört für Kritiker dazu. Es ist gar die Rede von „Feindbildern“ und „Verzerrungen“, wenn es um das Thema Sammelklagen geht. Somit sei es falsch, die Gesetze zu verändern, nur weil ein paar wenige Schweizer Unternehmen eine unkorrekte Verhaltensweise zeigen. Eine strafrechtliche Handhabe gegen diese schwarzen Schafe der Wirtschaft sei bereits vorhanden und es gäbe keinen Grund, diese zu verändern. Denn: In der Schweiz gibt es auch das Unternehmensstrafrecht, was in anderen Ländern nicht üblich ist. Ausserdem muss das Aufsichtsrecht berücksichtigt werden, das Missstände bereits vorbeugend verhindern soll. Des Weiteren ist das Ombudssystem zu erwähnen, mit welchem viele Streitigkeiten professionell, kostengünstig und vor allem schnell beigelegt werden können. Nun fragen die Verantwortlichen aus der Wirtschaft: Soll das wirklich alles aufgegeben werden, weil ein kollektiver Rechtsschutz integriert werden soll?
Die Konsumenten haben das Sagen
Doch nicht die Wirtschaft entscheidet allein über das geltende Recht, meist sitzen die Konsumenten am längeren Hebel. Dabei haben diese oft ohnehin schon weitaus mehr Rechte, als ihnen überhaupt bewusst ist. Unternehmen benötigen eine gute Reputation, damit sie weiterhin Erfolg haben oder damit dieser ihnen überhaupt erst ermöglicht wird. Die Reputation bekommen die Firmen durch die Konsumenten – verwehren diese einen guten Ruf, ist es um das Unternehmen in Zukunft schlecht bestellt. Einige Branchen sind zudem gut organisiert, was die Selbstregulierung angeht. Die Konsumenten setzen einen enormen Wirkungshebel an und können das Fehlverhalten von Unternehmen öffentlich machen. Ein Beispiel dafür sind diverse Internetplattformen, auf denen eine Unternehmensbewertung möglich ist. Teilweise sind hier sogar schon eher die Unternehmen als die Konsumenten zu schützen und rein rechtlich gesehen sind diese Plattformen nicht immer ideal aufgestellt.
Fazit: Kollektiver Rechtsschutz als zweischneidiges Schwert
Auf der einen Seite fordern die Konsumenten immer mehr Recht und stärkere Möglichkeiten, um diese Rechte auch durchsetzen zu können. Auf der anderen Seite stehen die Unternehmen, die sich durch die Forderung nach einem kollektiven Rechtssystem, das die Möglichkeit zu Sammelklagen bietet, bedroht sehen. Letztere gehen davon aus, dass Konsumenten bereits genug Hebel hätten, um Unternehmen in die gewünschte Richtung zu lenken. Massgeblich für die Forderung nach einer Sammelklage dürften zum Beispiel Fälle wie der VW-Abgasskandal sein, bei dem so viele Verbraucher geschädigt wurden und keine Entschädigung erhalten werden. Hier hätte die Möglichkeit zur Sammelklage zu mehr Gerechtigkeit für die Verbraucher geführt. Demnach sind beide Seite zu verstehen und sowohl die Forderung als auch die Ablehnung des kollektiven Rechtsschutzes wird nachvollziehbar.